
K O N T A K T

Gesamte Inhalte:
© Dr. Christoph Paul Stock
3) Gesundheitszustand, Krankheiten und Suchtprobleme
Sehr häufig werden in Personalfragebögen Fragen nach dem Gesundheitszustand und etwaigen Krankheiten des Arbeitnehmers gestellt. Dabei sind von vorrangigem Interesse Krankheiten, die sich auf die Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers auswirken, bzw Krankheiten infektiöser Natur[1]), die für die Belegschaft eines Betriebes eine Gefahr darstellen. Soweit nach solchen Krankheiten gefragt wird, kann kein Bedenken bestehen, dass der Arbeitnehmer sie zu beantworten hat und eine falsche Beantwortung für das entstandene Arbeitsverhältnis einen Entlassungsgrund darstellt. Das Interesse der Belegschaftsmitglieder, gesund zu bleiben, wird durch den besonderen Wertgehalt des Lebens und der damit zusammenhängenden Gesundheit klargelegt. Dieser Wert kann in seiner Intensität auf keinen Fall von einem Geheimhaltungsinteresse (Art 8 MRK) übertroffen werden.
Die Einstellung eines Arbeitnehmers, der krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, die von ihm verlangte Leistung zu erbringen, verursacht eine sehr starke Äquivalenzstörung, die auf Grund ihrer Intensität geeignet ist, den Geheimhaltungsanspruch, dessen verfassungsrechtlicher Wertgehalt schon von Haus aus situationsbedingt in seiner Intensität stark gemindert ist, zu beseitigen. Insbesondere wirkt sich im konkreten Fall das Verschmelzen von Privatsphäre und Berufsbereich aus. Denn hat eine Krankheit nicht nur Auswirkungen im Privatbereich, sondern zeitigt sie auch Folgen außerhalb dieses Bereiches, verliert der Aspekt an Gewicht, dass die Krankheit und ihre Auswirkungen gerade eine Besonderheit der Privatsphäre darstellen. Es ist nicht mehr der Kernbereich der Privatsphäre getroffen. Je stärker sich die Krankheit auf die Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz auswirkt, desto geringer wird ihr Achtungsanspruch als Element des Privatlebens.
Dem zufolge wird man sogar davon ausgehen können, dass nicht nur die gestellte Frage wahrheitsgetreu zu beantworten ist, sondern dass allgemein eine Aufklärungspflicht (Offenbarungspflicht) dem Arbeitgeber gegenüber besteht.[2]) Dies lässt sich aus der besonderen Gewichtigkeit der Information ableiten, weil einerseits die Krankheit in Verbindung mit der Arbeitsleistung eine Gefahr für Leben und Gesundheit anderer Personen darstellen kann, für deren Schutz der Arbeitgeber aus seiner Fürsorgepflicht gegenüber seinen Arbeitnehmern und aus seiner Sorgfaltspflicht gegenüber anderen Vertragspartnern verantwortlich ist.[3]) Man kann in diesem Fall wegen der gravierenden Bedeutung der Umstände vom Stellenbewerber angesichts seiner Sorgfaltspflicht aus “Treu und Glauben” eine Aufklärung erwarten.[4])
Andererseits besteht diese Aufklärungspflicht auch dann, wenn der Stellenbewerber in naher Zukunft sich einer Operation oder einem Kuraufenthalt zu unterziehen hat. Diese Frage hängt mit dem wirtschaftlichen Interesse des Arbeitgebers zusammen, das Risiko zu minimieren, durch gesetzliche Entgeltfortzahlungsansprüche belastet zu werden. Soweit ein solches Risiko nicht überdurchschnittlich hoch bzw sicher ist, wird das Interesse des Arbeitgebers das Interesse des Arbeitnehmers auf Schutz seiner Persönlichkeit nicht überwiegen können. Denn es wäre untragbar, wenn der Arbeitgeber in das Persönlichkeitsrecht eingreifen dürfte, nur um sich vom Gesetz ganz allgemein vorgesehene Folgen im Zusammenhang mit dem Arbeitsvertrag ersparen zu können oder gesetzliche Anliegen umgehen zu können.[5]) Denn es ist auch Anliegen der Entgeltfortzahlungsregeln, Arbeitnehmer mit nicht “ganz vollkommener” Gesundheit hinsichtlich ihres Einkommens abzusichern. Zusätzlich würde jeder Stellenbewerber seine Fortkommensmöglichkeiten untergraben, weil ihn kaum ein Arbeitgeber einstellen würde, wenn er jeglichen Mangel seiner Gesundheit offenzulegen hätte.[6]) Daher hat das Risiko, einen nicht ganz gesunden Arbeitnehmer einzustellen, der Arbeitgeber zu tragen. Ist das Risiko eines Entgeltfortzahlungsanspruches aber überdurchschnittlich hoch, so zB bei behinderten Personen, oder steht der Eintritt eines solchen Anspruches binnen kurzer Zeit für den Fall der Einstellung schon fest (zB Operation, Kuraufenthalt), ist, wiederum nach Beurteilung der zu erwartenden Äquivalenzstörung, bei Berücksichtigung von Kriterien wie Dauer, Umfang und etwaige Ersatzbeschaffung für die Arbeitserledigung in einer Interessenabwägung, ein Fragerecht grundsätzlich zu bejahen.
Problematisch ist die Lage auch dann, wenn gefragt wird, ob ein Stellenbewerber bereit ist, sich einer Einstellungsuntersuchung zu unterziehen. Dabei hat der Stellenbewerber zu bedenken, dass er im Verneinungsfall die Stelle mit großer Wahrscheinlichkeit nicht bekommen wird. Aus diesem Grund wird er sich in vielen Fällen, auch wenn es ihm unangenehm ist, zu einer derartigen Untersuchung bereiterklären. Daher erscheint mir eine solche Fragestellung nur gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer eine Tätigkeit aufnehmen soll, die eine besondere gesundheitliche Konstitution verlangt, weil der Arbeitnehmer besonderen körperlichen wie geistigen Belastungen standhalten muss.[7]) Dabei hat sich der Umfang der Untersuchung bzw das medizinische Testverfahren ausschließlich an den beruflichen Anforderungen zu orientieren.[8]) Würde man medizinische Untersuchungen in allen Fällen für angebracht erachten, würde das Risiko einer unter Umständen gegebenen gesundheitlichen Schwäche nicht mehr den Arbeitgeber sondern den Arbeitnehmer treffen, was dem Gedanken der eigentlichen Risikoüberwälzung auf den Arbeitgeber, wie er indirekt auch im Entgeltfortzahlungsgesetzes zum Ausdruck kommt, widerspricht. Diese Überlegungen gelten auch dann, wenn der Arbeitnehmer schon im Betrieb beschäftigt ist.
Die Einwilligung zur Untersuchung schließt im Zweifel die Einwilligung gegenüber dem Arzt ein, dem Arbeitgeber mitzuteilen, ob der Arbeitnehmer für den in Aussicht genommenen Arbeitsplatz oder Arbeitsbereich geeignet ist.
Ansonsten hat sich der Arzt über festgestellte Krankheitsbilder nicht zu äußern, soweit dadurch nicht von vornherein die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses unmöglich oder unerlaubt wäre.[9]) Der Arbeitnehmer kann den Arzt von der Schweigepflicht ganz oder zum Teil entbinden und ihn ermächtigen, dem Arbeitgeber Informationen über einen Untersuchungsbefund zu geben. Diese Ermächtigung kann sich unter Umständen auch aus dem Treueverhältnis ergeben, beinhaltet aber in jedem Fall für den Arbeitgeber die Pflicht, mit den Informationen vertraulich umzugehen, und sie vor Einsichtnahme unberechtigter Dritter zu sch ützen. Ein Verstoß gegen diese Pflicht würde den Arbeitnehmer in seinem Persönlichkeitsrecht auf “Achtung seines Privatlebens oder seiner Geheimsphäre” verletzen.[10])
Sicher nicht als Krankheit im eigentlichen Sinn, aber vom Bedeutungsgehalt ähnlich gewichtig, können Fragen nach Suchtproblemen sein. Dieser Bereich ist deshalb so schwierig zu beurteilen, weil der Süchtige sich meist selbst seine Sucht nicht eingestehen will. Solange das Suchtverhalten auf die Arbeitsbetätigung keine Auswirkungen hat, somit nur im privaten Bereich zutage tritt, wird man ein Interesse des Arbeitgebers an der Kenntnis der Sucht verneinen können. Sobald aber die Suchtprobleme so groß werden, dass sie in den Arbeitsbereich hineinwirken, und damit eine Gefährdung anderer Personen darstellen oder dem Ansehen des Betriebes schaden können, wird das Interesse des Arbeitgebers und das Interesse anderer Arbeitnehmer jenes des betroffenen Arbeitnehmers auf Geheimhaltung seiner Suchtschwäche übertreffen. Denn ohne Zweifel wird zB durch einen trunksüchtigen Angestellten, der mit der Kundenbetreuung in einem Betrieb beschäftigt ist, ein negativer Eindruck bei den Kunden erweckt, wenn selbst bei der Arbeit eine Alkoholisierung bemerkbar ist. Dieser negative Eindruck wird das Vertrauen der Kunden in den Betrieb als Ganzes nicht besonders fördern. Auch wenn diese Rückschlüsse des Publikums unter Umständen sehr fragwürdig sind, verdienen sie als Faktum Beachtung und werden nicht selten einen Handlungsbedarf beim Arbeitgeber auslösen.[11]) Insbesondere verschiebt sich hier der private Lebensbereich verstärkt in den beruflichen Lebensbereich, wodurch nicht mehr ausschließlich die Privatsphäre durch eine solche Frage getroffen wird. Daher verliert der Anspruch des Arbeitnehmers auf Schutz seiner Privatsphäre an Intensität. Die Privatsphäre wird bei weitem nicht mehr in ihrem Wesenskern getroffen. Auch ein Gefährdungsaspekt hat in diesem Zusammenhang Bedeutung, der dem Arbeitnehmer zuzurechnen ist und damit wegen seiner negativen Wirkung das Interesse des Arbeitnehmers weiter mindert. Man denke zB an einen Lenker oder Führer eines Fahrzeuges oder Zuges, der unter Umständen öfter oder häufig bei der Berufsausübung betrunken im Verkehr unterwegs ist. Er stellt eine große Gefahr für andere und sich selbst dar und gefährdet den Betrieb unter Umständen nicht nur in Bezug auf Ansehen und Vertrauen, sondern kann ihm auch finanzielle Schäden zufügen. Hier ist an die Zerstörung von Arbeitgebereigentum, entstehende Entgeltfortzahlungsansprüche und wirtschaftliche Schäden zu denken, die durch den Ausfall des Arbeitnehmers entstehen.