
K O N T A K T

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© Dr. Christoph Paul Stock
bc) Vertragliche Begrenzung der Meinungsfreiheit
Grundsätzlich wird man davon ausgehen können, dass jeder Mensch und damit auch jeder Arbeitnehmer seine Meinung offen kundgeben darf, soweit er dadurch das Persönlichkeitsrecht eines anderen – und hier insbesondere die Ehre desselben – nicht verletzt.
Denn es geht bei der Meinungsäußerung in erster Linie um das Mitteilen der eigenen Verstandesleistung, die sich formt in der geistigen Verarbeitung und gewissensmäßigen Wertung menschlicher Erkenntnisse, Erfahrungen und sittlicher Wertvorstellungen.[1]) So versucht jeder aus dem dunklen, nie vollständigen und im Grunde nur erahnbaren eigenen Wissen Schlüsse zu ziehen, die für sich selbst keine annähernde Gewissheit bieten können und daher der Überprüfung und Auseinandersetzung an und mit anderen Verstandesleistungen bedürfen.[2]) Erst dieser Vorgang ermöglicht es, die Weite der Sachverhalte, die die Welt bietet, gepaart mit der Vielzahl der verschiedensten Lösungsansätze zu einem mit hoher Wahrscheinlichkeit richtigen Ergebnis im Zeitpunkt der Auseinandersetzung zusammenzufügen. Erst in diesem “consensus omnium” wird die Annäherung an die objektive Wahrheit und an die objektiven Werte in einem beachtenswerten Ausmaß erreichbar.[3])
Daher ist der Drang des einzelnen zur Mitteilung, zum Ausdruck seiner Meinung so wichtig und unbedingt schützenswert. Die Verpflichtung der anderen wird aber nicht darin liegen, die Meinungsäußerung des anderen anzuhören, weiterzugeben oder gar ihr beizupflichten, sondern nur darin, sie nicht zu stören.
Die Möglichkeit der freien Meinungsäußerung, die in Wort, Schrift und Bild erfolgen kann[4]), ist die Grundlage unserer freiheitlich - demokratischen Staatsordnung. Sie wird durch ein Grundrecht garantiert (Art 13 StGG und Art 10 Abs 1 MRK) und findet damit Schutz vor Eingriffen seitens der staatlichen Gewalt.[5]) Doch ist sie unmittelbarer Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft und bietet wohl den umfangreichsten Gestaltungsmechanismus zur Selbstdarstellung und damit zur personellen Entfaltung. Der Art 118 Abs 1 der Weimarer Verfassung sagte schon ausdrücklich: “An diesem Recht darf ihn kein Arbeits- oder Anstellungsverhältnis hindern, und niemand darf ihn benachteiligen, wenn er von diesem Recht Gebrauch macht”. Diesem Anklang auch in Richtung des Privatbereiches ist unbedingt zuzustimmen. Die Meinungsfreiheit spiegelt unzweifelhaft eine wichtige Nuance des “allgemeinen Persönlichkeitsrechts” wieder.
Nun kann es besonders in Betrieben, die durch die Vertretung einer bestimmten Meinung eine bestimmte Tendenz der Betriebsausrichtung bzw Betriebshaltung in welcher Hinsicht auch immer verfolgen und darstellen wollen, zu Schwierigkeiten kommen, wenn die Meinungen des Arbeitnehmers mit den Meinungen des Arbeitgebers in grundsätzlichen Belangen nicht übereinstimmen und durch die Veröffentlichung der abweichenden Arbeitnehmermeinung bei den Meinungsempfängern der Eindruck erweckt wird, dass sich die Grundhaltung eines Unternehmens geändert hätte. Die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen könnten schwinden und dem Unternehmen gravierende Schäden zufügen. Dies ist natürlich nur dann möglich, wenn zwischen der Glaubwürdigkeit des Unternehmens und den privaten Meinungsäußerungen des Arbeitnehmers gedankliche Verbindungen hergestellt werden, und es sich bei den Meinungsäußerungen nicht nur um Vermutungen oder prognostische Ansichten handelt, sondern um eine wahre Gesinnung, also um den Glauben an die Gewissheit tragender Grundsätze in politischen, weltanschaulichen, moralischen, wirtschaftlichen, konfessionellen oder künstlerischen Bereichen, die sich thematisiert in der Auseinandersetzung mit einer grundlegende Frage dem Meinungsempfänger offenbaren.[6]) In diesen Fällen steht dem Interesse der Freiheit der Meinungsäußerung des Arbeitnehmers das Interesse des Arbeitgebers auf Übermittlung seiner Meinungstendenz gegenüber, zu der noch das wirtschaftliche Interesse des Arbeitgebers auf Verfolgung einer bestimmten Tendenz hinzutritt.
Die Tendenz muss tatsächlich objektiv in der Lage sein, eine gewisse Glaubwürdigkeit zu vermitteln und muss durch die Persönlichkeitsentfaltung des Arbeitnehmers in ihrem glaubhaften Bestand gefährdet sein. Erst daraus ergibt sich eine Sachbindung der Interessen des Arbeitgebers, die unter Umständen nach einer Interessenabwägung die Einschränkung des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers rechtfertigen können. Soweit die objektive Tendenz bzw die Art des Unternehmens keine sachlich gerechtfertigte Grundlage für eine meinungsbezogene vertragliche Persönlichkeitsbindung darstellt, fehlt ein entsprechendes Interesse des Arbeitgebers auf Meinungsbindung des Arbeitnehmers, und es darf daher in das Persönlichkeitsrecht auf Meinungsfreiheit des Arbeitnehmers nicht eingegriffen werden.
Nun welche grundrechtlichen Wertungen können zur Lösung der anstehenden Frage herangezogen werden? Wie schon erwähnt, schützt neben Art 13 StGG Art 10 MRK die Meinungsfreiheit. Nach Art 10 MRK sind Meinungsäußerungen grundsätzlich frei und damit den Eingriffen und der Lenkung von staatlicher Seite her entzogen. Aber die Meinungsfreiheit darf nicht in Zügellosigkeit ausarten. Dies kommt sehr klar in Art 10 Abs 2 zum Ausdruck, wo einerseits auf die mit der Meinungsfreiheit verbundenen Pflichten und Verantwortungen und andererseits auf die Möglichkeit von Beschränkungen hingewiesen wird. Einschränkungen sind nur unter drei Voraussetzungen erlaubt. Sie können ausschließlich durch Gesetz verfügt werden; sie müssen mit dem Wesen einer demokratischen Gesellschaft vereinbar sein; sie dürfen nur zu bestimmten, in der Konvention taxativ aufgezählten Zwecken erfolgen. Zusätzlich kommt in Art 10 Abs 2 ein Gedanke zum Ausdruck, der die Bedeutung des Art 10 MRK für die privatrechtlichen Verhältnisse betont.
Dort wird nämlich bei der taxativen Anführung der zulässigen Beschränkungen ausdrücklich auch der Schutz des guten Rufes und der Rechte anderer genannt.[7]) Damit wird unmittelbar eine Schranke zugunsten von Privatrechten Dritter anerkannt.[8])
Nun darf zwar eine rechtsgeschäftliche Verfügung niemals so weit gehen, dass sie zu einer vollständigen Aufhebung oder Aushöhlung der grundrechtlichen Wertgehalte führt, wenn diese auf Grund eines Schutzgebotes im Privatrecht Bedeutung entfalten. In ihrer Substanz müssen diese erhalten bleiben. Ein allgemeiner Verzicht auf das Recht der Meinungsäußerung wäre demnach ungültig. Hingegen scheint ein Teilverzicht möglich, insbesondere in der Richtung, dass zum Schutz bestimmter Rechte oder des guten Rufes bestimmter Personen von der Meinungsfreiheit kein Gebrauch gemacht werden darf. Wenn nämlich gegen den Willen des einzelnen durch Gesetz Beschränkungen zum Schutz der Rechte oder des guten Rufes Dritter verfügt werden können, so muss es auch gestattet sein, im Rahmen der privatrechtlichen Dispositionsfreiheit aus freiem Willen durch Vertrag Einschränkungen eines Grundrechts auf sich zu nehmen.
Somit ist es möglich, vertragliche Vereinbarungen einzugehen, die zum Zwecke des guten Rufes eines Hauses, der besonderen Ausrichtung eines Betriebes oder der Erhaltung des Arbeitsfriedens eine gewisse Zurückhaltung in der Kundgebung der eigenen Ansichten verlangen.
Aus diesem Grund ist es vertretbar, einem Lektor eines christlichen Verlages per Vertrag aufzutragen, atheistische Äußerungen in der Öffentlichkeit zu unterlassen, selbst wenn er Atheist ist und den Dienstposten nur angenommen hat, um einer Arbeitslosigkeit zu entgehen. “Dem höheren Angestellten in einer Bank kann verboten werden, sich an gewissen finanziellen Transaktionen, die die Bank in Verruf bringen könnten, zu beteiligen.”[9])
Dieses Ergebnis lässt sich auch durch Bestimmungen im Privatrecht bestätigen. So lässt sich aus dem § 11 des Journalistengesetzes indirekt ableiten, dass vertragliche Meinungsbindungen im Medienbereich durchaus von der Rechtsordnung nicht als rechtswidrig abgelehnt werden, wenn es dort heißt, dass ein Redakteur, dem die Fortsetzung seiner Tätigkeit ohne Änderung seiner Gesinnung nicht zugemutet werden kann, weil eine Zeitungsunternehmung ihre bisherige eingehaltene politische Richtung wechselt, innerhalb eines Monats, nachdem er von dem Wechsel der politischen Richtung Kenntnis erlangt haben musste, den Vertrag ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist lösen kann.[10]) Hier kommt eindeutig zum Ausdruck, dass man für den Zeitungsbereich im Normalfall annimmt, ein Journalist sei an die von der Zeitung vertretene Meinungstendenz gebunden.[11]) Solche und ähnliche unbedenkliche Persönlichkeitsbindungen sind in der Regel schon als Inhalt der arbeitsvertraglichen Treuepflicht des Arbeitnehmers zu werten. Der arbeitsrechtliche Vertrag stellt also den zulässigen Umfang der Treuepflicht klar und richtet diese Klarstellung an der objektiven Tendenz bzw an der Art des Unternehmens aus.