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Von der objektiven zur non-dualen Erkenntnis

 

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© Dr. Christoph Paul Stock

 

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Mit der Unendlichkeit in Kontakt treten

 

Doch wie können wir diese Unendlichkeit erfassen, wenn das Denken kognitiv unzureichend, das Fühlen sinnlich zu limitiert und die Empfindung haptisch einfach nicht möglich ist. Über das Denken, das Fühlen und das Empfinden hinaus gibt es einen weiteren Erfassungsmodus in unserem Sein, der hier helfen kann und in Frage kommt. Es ist die Intuition.

 

Intuition ist ein unmittelbares, ganzheitliches Erkennen oder Erfahren von Sachverhalten, Sichtweisen und Gesetzmäßigkeiten. In Entscheidungssituationen vermittelt sie uns eine subjektive Stimmigkeit des Vorgehens. Dem intuitiven Erkennen steht die analytische Erkenntnis gegenüber, die Sachverhalte durch Beweise, Erklärungen und Definitionen zu ergründen versucht. Viele Menschen folgen in so wichtigen und komplexen Fragen wie z.B. der Partnerwahl nicht ihrer rationalen Analyse, sondern eher einer rätselhaften vorausschauenden Eingebung bzw. einer unmittelbaren Anschauung, die auf Erfahrungen, Einsichten und Erkenntnisse zurückgreift, deren Vorhandensein dem Menschen oft gar nicht bewusst sind. Intuition scheint demnach eine unbewusste Intelligenz zu sein, eine Fähigkeit, verwickelte Vorgänge sofort richtig erfassen zu können. Sie scheint fähig zu sein, Muster wie die oben beschriebenen Fraktale spontan erkennen zu können. In diesem Sinn wissen wir oft mehr als wir zu sagen wissen.[i]

 

Die Intuition ist geheimnisvoll und unergründlich. Sie scheint mit Existenzebenen verbunden zu sein, von denen wir nichts wissen, die wir nicht fühlen und denen wir auch nicht unmittelbar begegnen können. Sie weist in einen Raum der Abstraktion, des Archetypischen, des Traum-, Schatten- und Schemenhaften, in eine Dimension, die mehr einer Möglichkeitsform als einer Realitätsform zu entsprechen scheint. Sie ist im Gegensatz zu unserem Denken und Fühlen irrational und ähnlich wie die Empfindung ganz besonders auf Wahrnehmung und Achtsamkeit angewiesen. Intuition scheint auf etwas zurückzugreifen, das man in der östlichen spirituellen Tradition Bewusstsein nennt. Der Osten geht dabei davon aus, dass das Bewusstsein nicht einfach nur ein Epiphänomen und damit eine Begleiterscheinung unserer kognitiven Prozesse ist, sondern eine eigenständige und letztgültige Entität, der tiefste Urgrund des Seins. Dieser Urgrund ist zeitlos und unbegrenzt. Daher ist er ewig und unendlich. Aus diesem Urgrund entspringen erst Energie, Materie, Zeit und Raum. Dieser Urgrund bringt unsere psychische und geistige Welt erst hervor und in diesen Urgrund kehren alle Erfahrungen, die gemacht werden, wieder zurück. In diesem Urgrund ist die Erfahrung des gesamten Kosmos enthalten. Dieser Urgrund ist ein kosmisches Bewusstsein, das sich in endloser Kreativität selbst zum Ausdruck bringt.

 

Dass es ein solches Bewusstsein gibt, ist natürlich nur eine Behauptung, eine Hypothese, die nicht bewiesen ist. Doch wie soll man etwas beweisen, das unserem Denken, Fühlen und Empfinden vorausgeht. Unzählige Kreuzzüge konnten die Existenz einer bestimmten Gottheit und die Gültigkeit einer bestimmten Religionsvorstellung bzw. -anschauung nicht beweisen. Unzählige Verfolgungen von Andersgläubigen, Hexern und Hexen sowie Menschen, die sich okkulter Praktiken bedienten, haben die Frage nicht objektiv beweisbar klären können, ob es nun das Okkulte gibt oder nicht und was es genau ist. Nicht anders ergeht es uns im Zusammenhang mit der Spiritualität. Die Zerlegung der Materie bis an jenen Punkt, an dem sie uns als Atompilz oder radioaktive Wolke entgegenfliegt und unsere Lebensräume zerstört, hat uns nicht zeigen können, was die letztgültige Realität hinter der Materie ist. Vielleicht ist es eben keine Realität, sondern eine Nicht-Realität, vielleicht ist es nicht etwas, das sich durch wissenschaftliches Streben, durch philosophisches Welterklären, durch spiritistisches Handeln oder durch religiöse Glaubenskonzepte erfassen lässt. Vielleicht ist es das Unfassbare und Namenlose schlechthin, weil es alle Erfassungs- und Verarbeitungsmodalitäten, die uns zur Verfügung stehen, erst aus sich hervorbringt. Wie will das Auge sich selbst sehen, wenn durch das Auge selbst, das Sehen erst möglich wird. Wenn wir einen Spiegel nutzen, um das Auge zu betrachten, verwenden wir einen Trick. Wir zerlegen die Welt in ein Subjekt, nämlich das Auge, das wir im Spiegel betrachten, und ein Objekt, nämlich den Spiegel, den wir dabei verwenden. Doch wir täuschen uns, wenn wir das Auge im Spiegel für das Auge selbst halten, so real es auch erscheinen mag.

 

Mir scheint, dass die Intuition, die auch ein Erfassungs- und Verarbeitungsmodus ist, uns ein Stück weit in Verbindung bringen kann, mit dem, was über unsere eigenen menschlichen Kapazitäten hinausgeht. Irgendwie hat sie eine Verbindung zur größeren Dimension des Seins. Sie scheint uns aus unserer menschlichen Begrenzung herauszuholen und uns mit dem unendlichen Kosmos verbinden zu können. Sie ist eine Art Internetkabel des Seins. Sie funktioniert wie Botenstoffe im Körper, Pheromone in der Natur und die Gravitation im Kosmos. Ihre Sprache liegt jenseits von Gedanken, Gefühlen und Begriffen. Wie sie genau funktioniert oder wie eine solche Verbindung überhaupt möglich ist, weiß ich nicht. Es ist ein Mysterium. Doch eines scheint mir klar zu sein. Wenn wir ein Teil des Kosmos sein wollen, dann müssen wir die Intuition nutzen, um uns mit dem Kosmos verbinden zu können. Ohne Internetverbindung lässt sich das World Wide Web nicht nutzen. Ohne Intuition lässt sich die Weisheit und Kreativität des Kosmos nicht anzapfen. Wir benötigen das World Wide Web nicht unbedingt, um unser Leben an den großen Prozessen des Seins ausrichten zu können. Wir benötigen aber die intuitive Verbindung zu einem höheren Bewusstsein, um wahrnehmen zu können, wohin die Reise im großen Kosmos geht und welche Bestimmung uns konkret als Mensch dabei trifft. Nur so können wir zu Mitschöpfern in diesem kreativen Prozess werden, den wir Universum nennen.

 

Die Intuition ist nicht wie eine wissende, auf ihre Bedürfnisse fokussierte und tatkräftige erwachsene Person, die mit beiden Beinen fest verwurzelt im Leben steht und ihren persönlichen Erfolgszielen zielstrebig hinterherjagt. Die Intuition ist mehr wie ein Neugeborenes, das sich erst seiner neuen Situation bewusst werden und verstehen muss, was seine Verantwortung und Aufgabe sind. Es muss erst verstehen, welchen Unterschied der eigene Beitrag macht und wie er eine realisierbare Form annehmen kann. Ob es einen solchen Auftrag gibt, ist nichts, was in der äußeren Welt unmittelbar und klar in Erscheinung tritt. Es ist etwas, das sich erst konstituiert und daher braucht es einen Glauben daran, dass es im inneren der Dinge eine Wirkkraft gibt, die aus einer geistigen Dimension etwas in die reale Welt bringen will. Um diese innere Wirklichkeit zu erspüren, braucht es ein achtsames Gewahrsein und rezeptive Fähigkeiten. Das Empfangen ist gerade zu Beginn noch weit wichtiger als das Senden und daher muss alles gestärkt werden, was den Empfang verbessert. Dazu gehört eine meditative Haltung, dazu gehört das Bemühen, sich im Rhythmus der Dinge zu bewegen, dazu gehört eine Hingabe an die höheren Mächte. Erst wenn etwas empfangen wird, kann man beginnen, sich um die Sendung zu kümmern und aus den zarten und kaum verständlichen Anfängen eine Mission zu machen, die in der Welt Gestalt annehmen und sich entfalten kann.

 

Als Kind in diese Welt hinein geboren zu werden, ist eine Entscheidung des Kosmos. Sich als spirituelles Kind dem Weltganzen zuzuwenden und Teil seiner schöpferischen Kraft zu werden, ist unsere persönliche Entscheidung als erwachsene Menschen. Es ist keine Geburt, die einen Vater und eine Mutter benötigt, es ist eine Geburt, die selbstbestimmt aus unserem eigenen Geist hervorgeht und über unsere Persönlichkeit hinaus unsere Individualität zum Ausdruck bringen will.


[i] Vgl. zum Thema Intuition die großartigen Untersuchungen von Gerd Gigerenzer, einem Psychologen und früheren Direktor am Berliner Max-Planck-Institut in seinem Buch:
GIGERENZER, G.: Bauchentscheidungen, Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition, 6. Auflage, Goldmann Verlag, München, 2008
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